Jean-Christoph Lehner: «Es war eine kurze Nacht und es gab Vieles zu koordinieren»

Ende Juli 2022 wurde Blatten im Lötschental durch einen Murgang beim Tännbach komplett von der Aussenwelt abgeschnitten. Zwischenzeitlich fielen auch der Strom und die Internetverbindung aus. In einem ersten Update vom 5. August informierte die Gemeinde Blatten die Bevölkerung: «Am 28. Juli 2022 wurde unsere Gemeinde einmal mehr hart von einem Unwetter getroffen. Mit grosser Demut blickt der Gemeinderat auf das Ereignis zurück. Wir sind dankbar, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind. Was bleibt, sind die vielen Spuren an privaten Gebäuden, an den Bachläufen, Wegen, Brücken, Flurstrassen, an den Blattner Kraftwerken sowie an der Kulturlandschaft.» Welche Erfahrungen lassen sich aus dieser Krisensituation mitnehmen? Gemeindepräsident Jean-Christoph Lehner im Kurzinterview. 

Jean-Christoph Lehner, was war Ihre erste Reaktion als Gemeindepräsident und wie haben Sie die erste Phase erlebt?
Zum Zeitpunkt des Ereignisses sass ich im Flugzeug. Als ich in Mailand Malpensa angekommen bin und mein Handy eingeschaltet habe, wusste ich, dass der Urlaub definitiv vorbei ist. Es konnte mir relativ rasch versichert werden, dass keine Menschen vermisst werden und alle wohlauf sind. Die Stäbe waren schon installiert und die Feuerwehr stand im Einsatz. Auf dem Rückweg im Auto wurde ich laufend informiert. Ich konnte mich auf die Leute vor Ort verlassen. Im Lötschental angekommen, ist dann just die Stromverbindung nach Blatten ausgefallen und man ging davon aus, dass auch das Handynetz schnell kapitulieren wird. Es war eine kurze Nacht und es gab Vieles zu koordinieren. Bei Tagesanbruch bin ich dann auf dem Fussweg nach Blatten und habe dann vor Ort die Führung übernommen. Es gab viel Arbeit: Die Strasse nach Blatten war verschüttet, die Strom- und Internetverbindung waren ausgefallen, das Trinkwasser war verunreinigt und die Schäden an den privaten Gebäuden, den Bachläufen, Wegen, Brücken und Flurstrassen, an den Kraftwerken sowie an der Kulturlandschaft waren gross. Die Nachbearbeitung dieses Ereignisses beschäftigt uns bis heute.

Wo und wie hat die Gemeinde Unterstützung erhalten?
Bereits am Donnerstagabend hatte ich Kontakt mit Frédéric Jollien von der Dienststelle für Naturgefahren. Und am Freitagvormittag waren die Vertreter des Kantons vor Ort. Die Zusammenarbeit war sehr gut und wir sind dankbar für die Unterstützung. Pragmatisch, aber dennoch wohlüberlegt wurden die Sofortmassnahmen schnell in Angriff genommen. Dazu haben wir ein spezialisiertes Ingenieurbüro mandatiert, das die Umsetzung der Sofortmassnahmen und die Aufräumarbeiten koordiniert hat. Diese Massnahme hat sich mehr als bewährt. Auch die Zusammenarbeit mit der Dienststelle für Landwirtschaft war bisher sehr zweckdienlich. Es war rasch klar, dass die Restkostenfinanzierung für die Gemeinde eine grosse Herausforderung darstellen wird. So sind wir umgehend mit der Patenschaft für Berggemeinden in Kontakt getreten. Sie haben uns finanzielle Unterstützung zugesichert und für uns eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Wir sind sehr dankbar für die vielen Menschen von nah und fern, die uns finanziell unterstützen. Dankbar sind wir auch für die Unterstützung von vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern. Die Solidarität war sehr gross und vor allem die Privaten waren dankbar für jede helfende Hand. Auch der Einsatz des Zivilschutzes war eine grosse Hilfe.   

Kann man sich überhaupt auf eine solche Situation vorbereiten?
Ja, zu einem gewissen Teil. Wir haben im Lötschental Erfahrung beim Umgang mit Naturereignissen. Lawinenniedergänge gibt es fast in jedem Winter. Die Hochwasser und Murgänge sind aber nicht mit den Situationen im Winter vergleichbar. Sie kommen viel unerwarteter und es gibt in der Regel keine Vorbereitungszeit. Wichtig ist, dass bei einem solchen Ereignis die Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar sind. Feuerwehr, Sicherheitsdienst, Führungsstab usw. Im Lötschental haben wir ein gutes Sicherheitskonstrukt. Dennoch läuft nie immer alles nach Plan. Es gibt immer Verbesserungspotenzial. Wichtig ist, dass nach jedem Ereignis eine eingehende Nachbearbeitung erfolgt und die richtigen Schlüsse gezogen werden. So kann man von jedem Ereignis auch einen Nutzen ziehen. Also man kann auf Vieles vorbereitet sein – aber nie für Alles.

Was hat Sie während dieser Krisensituation am meisten beindruckt?
«In der Krise beweist sich der Charakter». Ich war einerseits überwältigt, wie hilfsbereit sich viele Leute im Dorf gezeigt haben und wie viel Verständnis von den Einheimischen wie auch den Gästen entgegengerbacht wurden. Andererseits gibt es leider auch Menschen, die in einer solchen Situation sehr egoistisch agieren. Wir sollten uns alle bewusst sein, dass es in überwiegenden Teilen der Welt nicht selbstverständlich ist, dass sauberes Wasser aus der Leitung kommt. Einen Tag ohne Strom und Internet ist für alle verkraftbar. Es braucht einfach ein bisschen Geduld. Aber im grossen und ganzen überwiegt die Dankbarkeit für die grossartige Arbeit, die hier in Blatten geleistet wurde.

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